Viele Unternehmen unterschätzen das Thema Barrierefreiheit. Oft, weil sie Barrierefreiheit automatisch mit Screenreadern oder blinden Nutzerinnen verbinden. In der Praxis betrifft das Thema aber einen viel größeren Teil der Zielgruppe: Menschen mit motorischen Einschränkungen, Farbsehschwächen, Konzentrationsproblemen, temporären Verletzungen, aber auch schlicht schlechten Lichtverhältnissen oder einer vollen Einkaufstüte im Arm. Kurzum: Barrierefreiheit hilft uns allen.
Die meisten Webseiten sind nicht barrierefrei, d.h. vereinfacht gesagt, User die eingeschränkt sind, können die Webseiten nicht in vollem Umfang nutzen. Sie erreichen Inhalte nicht oder können Texte nicht erkennen.
Gerade bei Relaunches zeigt sich das deutlich. Unternehmen merken erst spät, wie wichtig Barrierefreiheit für Reichweite, Conversion und Qualität ist. Ich höre häufig "aber meine Zielgruppe muss klar sehen können", z. B. weil sie potentielle Käufer von Autos sind. Doch wann recherieren potentielle Käufer auf der Webseite? In den öffentlichen Verkehrsmitteln bei schlechtem Internet-Empfang, oder im Wartezimmer beim Arzt mit abgedunkeltem Bildschirm? Schnelle Ladezeiten und gute Kontraste sind hier wichtig.
Bei einem Relaunch würde ich deshalb darauf setzen, die Webseite möglichst barrierefrei umzusetzen. Wird Barrierefreiheit von Beginn an mitgedacht, lässt sich vieles ohne großen Mehraufwand direkt sauber umsetzen. Barrierefreiheit ist damit kein Sonderfall, sondern ein Standard, der die gesamte Website besser macht.
Wo sind die Kriterien für barrierefreie Webseiten geregelt?
Für öffentliche Unternehmen ist die BITV 2.0 verpflichtend, die auf den internationalen WCAG 2.1 AA-Standards basiert, aber zusätzliche Anforderungen wie eine Erklärung zur Barrierefreiheit und strengere Prüfkriterien enthält. Private Unternehmen müssen seit Juni 2025 das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) beachten, das die Barrierefreiheit für viele digitale Produkte und Dienstleistungen vorschreibt und sich ebenfalls an den WCAG orientiert. Sowohl öffentliche als auch private Unternehmen sollten sich an den WCAG-Standards orientieren, wobei die BITV für öffentliche Stellen und das BFSG für bestimmte private Anbieter verbindlich sind.
Und wer ist nun zur Barrierefreiheit verpflichtet?
Viele fragen sich, wer überhaupt zur Barrierefreiheit verpflichtet ist. Kurz: Öffentliche Stellen müssen die BITV erfüllen. Für alle anderen gelten die WCAG als anerkannter Standard.
Mit dem European Accessibility Act (EAA) gelten seit 2025 zusätzlich Pflichten für den B2C‑Bereich. Verpflichtet sind Unternehmen, die digitale Produkte oder Services für Verbraucherinnen anbieten (z. B. E‑Commerce, Apps, Ticketshops, Kontaktanfragen). Ausgenommen sind Kleinstunternehmen, die weniger als 10 Mitarbeitende haben und unter 2 Mio. Euro Jahresumsatz liegen. Alle anderen müssen ihre digitalen Angebote barrierefrei gestalten.
Beispiele für verpflichtete B2C-Unternehmen:
- Friseursalon mit Online-Buchungssystem und mehr als 2 Mio. € Jahresumsatz
- Dienstleistungsfirma (z. B. Reinigungsunternehmen) mit mehr als 10 Mitarbeitenden
- Verein mit großem Mitgliederbereich (über 10 Mitarbeitende oder über 2 Mio. € Umsatz)
Beispiele, die nicht verpflichtet sind:
- Kleiner Friseursalon ohne Online-Services und unter 2 Mio. € Umsatz
- Ehrenamtlich geführter Verein ohne Mitarbeitende
- Kleine lokale Dienstleister*innen mit wenigen Mitarbeitenden und geringem Umsatz
Auch wenn nicht jede klassische Unternehmenswebsite betroffen ist, orientieren sich viele Auftraggeberinnen heute an WCAG, weil diese Standards die Qualität der gesamten Seite sichern.
Barrierefreiheit ist kein „Nice to have”
Barrierefreie Webseiten helfen nicht nur Menschen mit Einschränkungen. Sie verbessern die Nutzbarkeit für alle. Saubere Struktur, gute Kontraste, klare Inhalte und logische Navigation sorgen automatisch für bessere Conversion.
Immer noch geht der Reflex los: „Barrierefrei ist teuer.” Das stimmt so nicht. Teuer wird es vor allem dann, wenn Barrierefreiheit erst spät im Projekt auffällt.
Unternehmen, die Barrierefreiheit von Anfang an berücksichtigen, haben:
- bessere Suchmaschinenplatzierungen
- besseres Nutzererlebnis
- modernere, zukunftssichere Webstandards
- weniger Supportanfragen
- höhere Abschlussraten
SEO und UX profitieren direkt
Suchmaschinen verstehen barrierefreie Webseiten besser. Das liegt an den Grundlagen:
- Semantisches HTML
- eine klare Überschriftenstruktur
- ARIA-Landmarks für Screenscreader und Tastaturbedienbarkeit
- Alternativtexte für Bilder
- fokussierbare Elemente
- für maschinen lesbare Inhalte
Google bewertet diese Signale, weil sie zeigen, dass eine Seite technisch sauber ist. Gleichzeitig verbessern sie die UX (Nutzerfreundlichkeit). Wer eine Seite schneller versteht, bleibt länger. Suchmaschinen registrieren das.
Wie TYPO3-Redakteure Inhalte barrierefreier machen können
Ich sehe oft die gleichen Punkte:
- Überschriften werden nach Optik gesetzt, nicht nach Struktur
- Bilder ohne Alternativtext
- Textformatierung per „Fett und größer”, statt semantisch korrekt
- unklare Linkziele („Hier klicken”)
- Inhalte werden im RTE nachgebaut, statt über strukturierte Datensätze gepflegt
Gerade im CK/Editor bzw. RTE (Texteditor in TYPO3) entstehen viele Probleme – obwohl TYPO3 das sauber lösen kann. Mit der richtigen Konfiguration des Editors wird es Redakteuren einfacher gemacht, Inhalte strukturiert, semantisch korrekt und auch optisch schön aufzubauen.
Checkliste für Redakteurinnen
- Ist jede Überschrift logisch einsortiert (H1–H6)?
- Hat jedes Bild einen sinnvollen Alt-Text?
- Sind Links sinnvoll benannt?
- Sind Tabellen wirklich Tabellen und nicht Layout-Tricks?
- Ist der Inhalt auch ohne Farbe verständlich?
Redakteure sind mit entscheidend. Sie halten die Qualität langfristig hoch. Wenn Bedarf nach einer Redakteurs-Schulung besteht, dann zeige ich gerne, wie die Qualität und Barrierefreiheit eurer Inhalte optimiert werden können,. Schreib mir eine E-Mail an hallo(at)nicole-kalinowski(dot)de.
Barrierefreiheit als Qualitätsmerkmal
Barrierefreiheit sollte kein eigener Projektschritt sein, sondern ein Qualitätsstandard. Wenn sie früh eingeplant wird, entsteht verhältnismäßig wenig Mehraufwand:
- bessere Komponenten
- klarere Templates
- geordnete Strukturen für Redakteure
Das kostet weniger Zeit als das spätere Aufräumen. Viele Unternehmen erschrecken vor dem Thema, weil sie an Komplett-Audits denken. Für die meisten Unternehmen reicht aber ein einfacher WCAG-Check und hohe zusätzliche Kosten – also nicht vergleichbar mit Audits für öffentliche Einrichtungen
Barrierefreie Webseiten können heute ein entscheidender Faktor sein, um Aufträge zu gewinnen. Unternehmen wollen performante, zukunftssichere Systeme. Barrierefreiheit ist Teil davon.
TYPO3 13 liefert die Basis. Ein gutes Setup macht den Unterschied.
